Anatha
Anatha
Anatha

Interview mit Helena Lehmann: „Tanzend älter werden“

(August 2013 )

Helena: Wie alt bist du?

Mein biologisches Alter ist 61 Jahre aber eigentlich fühle ich mich alterslos.

Helena: Hattest du jemals ein Problem dein Alter zu sagen?

Im Alter zwischen 20 und 30 Jahren sah ich sehr jung aus und war froh, sagen zu können, dass ich schon älter war. Mit 29 Jahren fing ich mit dem orientalischen Tanz an und da war mir mein Alter ziemlich gleichgültig und spielte keine Rolle – jedenfalls in dem Umfeld, in dem ich mich bewegte. Ich kannte aber auch keine Tänzerinnen, die über 40 oder 50 Jahre waren.

Als ich später Suher Saki, die große ägyptische Tänzerin,  kennenlernte, die damals auch nicht mehr so jung war, habe ich mir über das Alter auch noch keine Gedanken gemacht. Sie war mein unbestrittenes Vorbild und ich fand sie wunderbar mit ihrer Ausstrahlung, die junge Frauen noch nicht haben.

Heute gebe ich, wenn jemand einen Auftritt bucht und versucht, mein Alter herauszufinden, nichts Genaues an, denn ich sehe viel jünger aus, wenn ich auftrete. Zahlen in Bezug aufs Alter rufen individuell verschiedene Bilder in der Vorstellung der Menschen hervor. Noch vor einer Generation, z.B. der meiner Mutter, waren Frauen mit 60 Jahren alt, heute ist das nicht mehr der Fall. Die Bilder stecken aber immer noch in den Köpfen.

Wer über meine Website wegen eines Auftrittes an mich herantritt, hat meist gelesen, dass ich seit 30 Jahren unterrichte, also kann ich nicht mehr so jung sein. Manchmal spreche ich das Thema von mir aus am Telefon an, z.B. wenn ich für eine Hochzeit junger Menschen engagiert werden soll, aber bisher habe ich immer gehört, mein Alter spiele keine Rolle. Natürlich gibt es auch Videos auf der Website, in denen die Interessenten sich ein Urteil bilden können. Wenn ich mein Alter nicht angebe, dann, weil ich nicht in Schubladen gesteckt werden möchte, die nicht auf mich passen.

Helena: Wenn du dein jüngeres Selbst treffen würdest, was würdest du dir raten in Bezug auf das Älterwerden?

Ich würde sagen, vielleicht gibt es Menschen, die eine junge Tänzerin haben wollen, aber genauso viele schätzen eine reife Persönlichkeit und Weiblichkeit, die sich im Tanzen ausdrückt. Außerdem würde ich sagen,  dass es keinen Grund gibt, vor dem Älterwerden Angst zu haben.

Helena: Welche Aspekte in deinem Leben wurden mit zunehmenden Alter wichtiger / unwichtiger?

Vor 30 Jahren stand in den Bauchtanzkursen mehr der Aspekt des Entspannens und Loslassens im Vordergrund. Gymnastik war verpönt. Nachdem sowohl ich als auch meine Schülerinnen älter wurden, merkte ich, dass Kräftigung und Muskelaufbau genauso wichtig sind wie Muskelentspannung. Jetzt nehme ich zum Aufwärmen auch Pilates- und Beckenbodenübungen dazu.

Auf mein Leben bezogen fällt mir auf, dass ich mich früher mehr mit meinen persönlichen Problemen und meiner Vergangenheit auseinandergesetzt habe, jetzt lebe ich mehr in der Gegenwart und kann mein Leben mehr genießen.

Helena: Möchtest du gerne wieder 20 sein?

Auf keinen Fall, dann heute geht es mir mit mir selbst viel besser und ich genieße das sichere Gefühl, das mir meine Lebenserfahrung vermittelt.

Helena: Oder möchtest du gerne wieder wie 20 aussehen?

Nein. Ich fühle mich reifer und ausgewogener als mit 20 und das soll man ruhig sehen. Allerdings wirke ich sehr jugendlich, wenn ich auftrete – du hast neulich die Zahl 18  fallen lassen – und da habe ich gut reden. Wenn es das Leben gewollt hätte, dass ich älter aussehe als ich bin, dann wäre ich mir meiner Souveränität nicht so sicher J

Helena: Trauerst du deiner Jugend, bzw. dem straffen und faltenlosen Aussehen hinterher?

Ich brauche kein faltenloses Aussehen, ich finde mich auch so attraktiv genug, wenn ich zum Auftritt oder zum Unterrichten gehe. An manchen Tagen, morgens früh nach dem Aufstehen, hätte ich schon gerne ein paar Falten weniger. Aber solche Gedanken nehme ich nicht zu ernst.

Helena: Spürst du irgendwelche körperlichen Einschränkungen, die du z.B. mit 25 Jahren gar nicht kanntest?

Nicht wirklich, ich habe nie eine Sportart ausgeübt, in der natürlicherweise ein Leistungsabfall mit dem Alter auftritt. Für mich ist der der orientalische Tanz kein Tanz, in dem es um sportliche Leistung geht und z. B. Backbends kann ich besser als früher, da ich in meinen Kursen mehr für den Muskelaufbau tue. Wie viele Tänzer/innen habe ich einen durchgetretenen Fuß, d.h. das Quergewölbe unter der Fußsohle fehlt. Aber durch Fußübungen und Einlagen in den Tanzschläppchen habe ich keine Schmerzen und Probleme mehr. Meine Bänder an den Füßen sind ziemlich ausgeleiert, schon als Kind bin ich andauernd umgeknickt und heute nehme ich das ernst. Deshalb trage ich im Alltag Schuhe, die für meine Füße und Fußgelenke optimal sind – zum Glück gibt es auch dafür modische Schuhe.

Mich hat schon immer der gesundheitliche Aspekt am orientalischen Tanz interessiert und ich kümmere mich um meinen Körper, kenne gute Fachleute wie Physiotherapeuten und Heilpraktiker. Wer intensiv mit dem Körper arbeitet, muss ihn kennen und wissen, wie er zu behandeln ist und was ihm gut tut.

Ich habe an einer 2-Jährigen Fortbildung in Tanzmedizin teilgenommen, um mir weiteres Wissen in dieser Richtung anzueignen. Alle körperlichen Probleme, die über die Jahrzehnte sporadisch aufgetreten sind, habe ich immer wieder beheben können. Ich habe nie aufgegeben und mich damit abgefunden, dass etwas schmerzte. Und dieses gesammelte Wissen ist natürlich wunderbar für den Unterricht und für die Frauen, die bei mir die Ausbildung zur Lehrerin für orientalischen Tanz machen.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich nicht weniger beweglich oder fit bin als früher, sondern im Vergleich zum Alter von 25 ist das Gegenteil der Fall, und mein Körperbewusstsein entwickelt sich natürlich immer noch weiter, und zusammen mit dem ständigen Tanzen und Üben denke ich, dass das Ende meiner tänzerischen Entwicklung noch nicht gekommen ist, den wie schon gesagt, finde ich den Aspekt des Ausdrucks der Persönlichkeit im orientalischen Tanz wichtiger als die sportliche Seite. In meinen Kursen kann ich natürlich zeigen, dass das Alter kein Grund ist, sich auf die faule Haut zu legen oder zu sagen: Dafür bin ich schon zu alt. Diesen Satz finde ich furchtbar. Die meisten Ärzte haben ihn sofort parat, vor allem wenn sie nicht helfen können. Korrekt müsste es lauten: Ich habe Arthrose im Hüftgelenk, also führe ich die Bewegung so aus, dass ich keine Schmerzen habe. Aber es ist allgemein bekannt, dass Bewegung bei Arthrose ganz wichtig ist. Und gerade der orientalische Tanz kann da helfen und unterstützen.

Ich sehe meine Kurse unter dem gesundheitlichen Aspekt in Hinsicht auf Körper und Seele, nicht unter einem sportlichen Aspekt. Wer will, kann natürlich den orientalischen Tanz als Fitness- und Powertraining anbieten oder betreiben, aber da bleiben meist Körpergefühl und Ausdruck auf der Strecke. Von seinem Ursprung her war er nicht so ergebnis- und leistungsbezogen. Trotzdem wird natürlich auch geschwitzt in meinen Kursen.

Helena: Hat sich dein Tanzausdruck mit zunehmendem Alter verändert?

Der Tanzausdruck verändert sich mit der Veränderung der Persönlichkeit. Im besten Fall reifen Tänzerinnen mit zunehmendem Alter und bekommen eine stärkere Tänzerpersönlichkeit, die Ausstrahlung kommt mehr von innen. Ich habe mich in den Jahren seit ich tanze sehr verändert, auch durch den steten Kontakt in meiner Rolle als Lehrerin meiner Schülerinnen, außerdem habe ich viel meditiert, was meine persönliche Weiterentwicklung gefördert hat.

Helena: Wie beurteilst du die zunehmende Zahl von operierten Tänzerinnen und Botoxgelähmte Gesichter in der Bauchtanzszene?

Ich möchte das nicht beurteilen, das ist eine ganz persönliche Entscheidung. Aber um die letzte Frage weiter zu verfolgen: Die faltenlosen Gesichter lassen die innere Ausstrahlung in den Hintergrund treten. Unsere Gesellschaft hängt sehr am äußeren Schein. Als geliftete Tänzerin kann ich nicht zu meinen Schülerinnen sagen: „Findet euch schön – so wie ihr seid, seid stolz auf euer Frausein.“ Und das finde ich eine wichtige Botschaft und ist in meinen Augen eine Essenz des ursprünglichen Bauchtanzes. Natürlich finde ich eine gute Hautpflege, Nahrungsergänzungsmittel, wenn sie nötig sind, und andere Möglichkeiten o.k., aber diese totale Veränderung auf Jugendlichkeit und ausdruckslose, glatte Gesichter durch Operationen und Botox gefallen mir persönlich nicht. Machen Lachfalten ein Gesicht nicht schön?

Helena: Würdest du dich in ein paar Jahren auch operieren lassen? Oder etwas gegen zunehmende Falten tun? Jane Fonda z.B. steht zu ihrer Schönheitsoperation.

Wie ich eben schon gesagt habe, stehe ich zu meinen Falten und ich finde Narben, die nicht sein müssen, vom gesundheitlichen Aspekt her bedenklich. Inzwischen weiß man, dass Silikonimplantate nicht ewig halten, da ist die nächste Operation schon vorprogrammiert.

Wenn ich Geld übrig hätte, würde ich es in meine Gesundheit stecken, z.B. habe ich sehr positive Erfahrungen mit Osteopathie und der amerikanischen, sehr sanften Chiropraktik gemacht. Die körperliche Spannkraft, Flexibilität und Energie, die dadurch erreicht werden, machen wirklich jünger und lassen einen auch jünger aussehen.

Helena: Wie beurteilst du den Einfluss der Wechseljahre auf dich bzw. deinen Tanz?

Meine Wechseljahre waren so leicht und so schnell vorbei, dass sie keine große Krise oder Veränderungen meines Selbst hervorgerufen haben. Ich habe sie kaum bemerkt und führe das auf das Tanzen und die Unterstützung des Körpers durch Sojaprodukte zurück. Japanerinnen, die viel Soja zu sich nehmen und sich sehr gesund ernähren, sollen ja ebenfalls kaum Probleme mit den Wechseljahren haben.

Helena: Was würdest du einer Frau empfehlen die mit Grausen an ihren 30., 40. oder 50. Geburtstag denkt?

In den Monaten vor meinem 40. Geburtstag war ich in Bezug auf das Älterwerden total in der Krise. Ich dachte damals wirklich, dass in ein paar Jahren niemand mehr einen Auftritt von mir sehen wollte. Deshalb verstehe ich solche Ängste. Bei mir war der Spuk mit einem Schlag zum 40. Geburtstag vorbei und ist nie wieder in dieser Form aufgetaucht. Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, dass Alter zum großen Teil im eigenen Kopf stattfindet.

Wichtig finde ich, dass eine Tänzerin sich ihrem Alter entsprechend kleidet. Irgendwann sind ein Bauchnetz und Oberarmstulpen angebracht und je älter eine Tänzerin ist, desto besser muss das Kostüm passen und da gibt es schon einige Tricks. Ich finde ein ästhetisches Aussehen ganz wichtig, da sollten keine Kompromisse gemacht werden. Und wenn ein Kostüm wegen 1-2 Kilo Gewichtszunahme grenzwertig ist, sollte es nicht mehr getragen werden. Wer unbedingt viel Haut zur Schau stellen möchte, sollte das in jungen Jahren tun.

Helena: Welche Vorteile hat ein vorgerücktes Alter?

Ich fühle mich immer besser mit den Jahren und vor allem seit meinem 50. Lebensjahr, denn mit meiner Lebenserfahrung lebt es sich leichter.

Aber wenn du mich fragen würdest, welches der größte Nachteil eines vorgerückten Alters ist, lautet meine Antwort: Ich muss auf mein Gewicht achten. Bei vielen Frauen sinkt der Grundumsatz nach den Wechseljahren. Nur mit viel Bewegung und entsprechender Ernährung kann ich mein Gewicht halten – der Speck setzt sich sonst am Bauch fest. Aber das ist sehr gesund, denn genau dort werden die Hormone produziert, die der Körper nach den Wechseljahren braucht. Die Natur hat das schon perfekt eingerichtet, auch wenn es den Goldenen Schnitt stört… Frauen mit ein bisschen Speck leben länger, hat man herausgefunden.

Helena: Welche Wünsche hast du an dein eigenes Alter?

Mein „Alter“ ist für mich ziemlich weit weg. Und ich glaube, erst wenn man sich alt fühlt, ist man alt. Mein Vater ist mit 83 Jahren gestorben, er hat sich bis zum letzten Tag nicht als alter Mann empfunden. Wenn ich an die Zukunft denke, wünsche ich mir weniger Stress, weniger Zeitdruck, weniger Arbeit, mehr Zeit dafür, in der Natur zu sein und mehr Muße für das, was ich tue.

Helena: Wie würdest du deine momentane Gefühlslage beschreiben in Bezug auf dein Alter?

Es ist vollkommen in Ordnung: „Alles ist gut“.

Helena: Sollten mehr Frauen und Tänzerinnen zu ihrem Alter stehen? Bislang ist es nicht normal das jede Tänzerin offen zugibt 38 oder 48 zu sein.

Wenn Frauen oder Schülerinnen mich danach fragen, dann sage ich es auch. Vielleicht kommen wir ja eines Tages dahin, dass wir älteren Tänzerinnen entspannt über unser Alter plaudern können. Das wäre doch ein Fortschritt.

Helena: Was kannst du Frauen raten die ein Problem mit dem älter werden haben?

Sie sollten herausfinden, wovor genau sie Angst haben: Glauben sie, Falten machen hässlich? Was ja nicht stimmt. Ist da Angst vor Einsamkeit? Gibt es körperliche Probleme? Dann sollte man überlegen, wie man damit umgehen kann und aktiv werden. Solange die Ängste diffus sind, kreisen die Gedanken nur. Wenn die Probleme genau formuliert werden, gibt es auch eine Chance, seine Ansichten zu verändern und neue Erfahrungen zu machen.

Das äußere, körperliche Altern geschieht langsam, manchmal schleichend, plötzlich nehmen wir es wahr oder immer wieder tritt es in unser Bewusstsein. Nur indem die körperliche Veränderung immer wieder angenommen wird, können wir unseren Frieden damit machen. Und es ist die negative Bewertung, an der wir leiden. Denn wie oft, geschieht es, dass Freundinnen und Freunde oder Partnerinnen und Partner unser „älteres Aussehen“ nicht stört, weil sie nicht an der Oberfläche hängenbleiben und das innere, psychische und seelische Altern kommt im besten Fall daher mit Reife, Gelassenheit und Weisheit. Ist das nicht eine verlockende Aussicht?